"Als ich vor der Waldorfkrippe stehe, ist es früh morgens und draußen noch dunkel. In der Krippe brennt schon Licht und ich trete ein. Vor mir sehe ich eine sehr niedrige Holzbank. Dahinter stehen viele kleine Stiefelchen. An einer Seitenwand sind tiefhängende Kleiderhaken aus Holz befestigt, daran wurden wetterfeste Matschhosen und kleine Jacken aufgehängt. Aus den anderen Räumen höre ich leise Stimmen und der angenehme Geruch von frisch gekochtem Essen steigt mir in die Nase. Die Tür zum Gruppenraum hat ein Fenster, ich schaue hindurch und werde sogleich von den Erzieherinnen begrüßt und hereingebeten.
Ich trete in einen sehr freundlichen Gruppenraum, die Wände sind altrosa verputzt und die Decke ist aus Holz. Transparente gelbe Stoffe zieren den Raum, an der Decke ist ein leichter heller Baumwollstoff drapiert und man glaubt unter einem Himmelsgewölbe zu sein. Der Gruppenraum ist mit Holzschutzgittern in einen Küchen-, Spiel- und Pflegebereich aufgeteilt. Eine Mutter mit ihrem Kleinkind auf dem Arm kommt rein. Mit einem freundlichen "Guten Morgen" überreicht sie ihr Kind der Erzieherin. Sie winkt und verlässt dann den Raum. Ein kurzes Abschiedsritual, was für das kleine Kind ganz selbstverständlich ist. Neugierig will das kleine Kind wissen, was gekocht wird und die Erzieherin schaut mit dem Kind zusammen in die Kochtöpfe, worin das Mittagessen gart. Danach klettert es auf ein kleines Ess-Bänkchen und erhält sein Frühstück. Nach einer Weile geht die Türe vom Gruppenraum wieder auf und ein kleines Mädchen kommt rein. Es hält ein mitgebrachtes Bilderbuch und einen kleinen Stoffhund in den Händen. Während es reinläuft sagt es: "Mama bald!" Das kleine Mädchen wird von einer Erzieherin freundlich begrüßt und bekommt auch ihr Frühstück. Nach und nach kommen kleine Kinder rein. Sie kommen gelassen und mit einem offenen Blick rein, manche schmiegen sich erst etwas bei der Erzieherin an, um dann bald ins Spiel einzusteigen. Es sind fast alle Krippenkinder angekommen und ich wundere mich über die Selbstverständlichkeit, mit der die Kleinen ankommen. Die Erzieherin erzählt mir, dass die Eingewöhnungsphase einen wichtigen Stellenwert im Krippenkonzept hat: Vor der Eingewöhnungsphase finden zwischen Eltern und Erzieherin viele Gespräche statt. Eltern haben die Möglichkeit, die Abläufe in der Krippe so lange zu begleiten, bis sie sich gestärkt von ihren Kindern abnabeln können. Weitere Schritte werden am Kind abgelesen; wann und wie lange die Eltern wegbleiben können.
Ich beobachte, wie die kleinen Kinder spielen. Manche klettern über ein Kletterdreieck oder rutschen bäuchlings durch einen Holztunnel. Andere rühren in Töpfen herum oder kippen Holzringe in kleine Eimerchen. Ein Mädchen holt sich Tücher um damit ein Spielpferd zuzudecken. Farbige Becher werden vergnüglich ineinander gestapelt. Manche schauen sich ein Bilderbuch an. Etwas ältere Bübchen spielen gemeinsam ein Fantasiespiel. Es fällt mir auf, dass die Erzieherinnen ruhig im Raum tätig sind, jede geht einer Arbeit nach, sie häkeln, stricken, putzen oder kochen und summen dabei ein Lied. Sie bespielen die Kinder nicht, sind aber für die kleinen Kinder jederzeit zur Verfügung. Die Kinder können sich stets anschmiegen und finden, wenn nötig, sofort Trost und Geborgenheit. An dieser hüllenden Umgebung können sich die Kleinen gut orientieren und sind gestärkt, die Welt zu erobern. Durch die hellen Holz-Spielgitter entsteht Transparenz, sodass die Erzieherin den Raum nicht verlassen muss, um ein Kind zu wickeln und so kann sie dem Kind ungestört Pflege und Zuwendung zukommen lassen. Die anderen Kinder wiederum können beobachten, wie ein Kind Pflege und Zuwendung erhält. Es wirbelt und klingt um mich herum und ohne, dass ich es gemerkt habe, ist es draußen hell geworden. Die Erzieherinnen holen sich in Ruhe ein Kind nach dem anderen, um sie für die Garten Zeit anzuziehen. Eine andere Erzieherin ist schon im Außenbereich der Krippe, um die Kinder in Empfang zu nehmen. Nach und nach leert sich der Gruppenraum, denn die Kleinen gehen täglich bei Wind und Wetter an die frische Luft. Als alle angezogen sind und im Garten ihr Spiel fortsetzen, werfe ich einen neugierigen Blick in den Schlafraum. In einem leicht blau lasierten Raum stehen zehn kleine Himmel-Bettchen, sie sind im Kreis aufgestellt. Die Vorhänge sind weinrot und die Himmel schimmern leicht und transparent in rosabläulicher Seide. In diesem Raum ist eine schöne, helle Holzdecke abgehängt, dadurch wirkt der Raum, warm, hüllend und schützend. Jedes Kind hat sein eigenes Bett, darin finde ich auch ganz individuelle Kuscheltiere und - tücher, die das kleine Kind von zu Hause mitgebracht hat. Auch dieser Raum lädt ein, um sich richtig wohl zu fühlen und sich auszuruhen.
Ich geselle mich in den schönen Garten, wo die Kleinen engagiert Stöcke suchen, Sandsuppe kochen und mit kleinen Holzschubkarren herum laufen. Im Gespräch mit der Erzieherin, erfahre ich, dass die Kleinsten zuerst reingehen und ihr Mittagessen bereits um 11:30 erhalten. Alle Kinder werden dann nach und nach gepflegt und schlafen gelegt, wozu sie von den Erzieherinnen sehr viel Zuwendung und Aufmerksamkeit erhalten. In diesen Abläufen und Übergängen beobachte ich stets die respektvolle Haltung der Betreuerinnen, wie sie die Kleinen bei den Mahlzeiten und in der Pflege begleiten. Die Übergänge vom Spielen zum Pflegen bis zum Ruhen nehme ich wahr, als selbstverständlich und in Freiheit gestaltet. An den wiederholenden Abläufen können sich die Kleinen gut orientieren, sie fühlen sich sicher und wohl.
Bevor ich die Krippe verlasse, würde ich gern mehr über "Waldorf-Pädagogik" erfahren. Dazu werde ich vom Krippenteam zu einem öffentlichen Info-Abend eingeladen, an dem man Informationen über die Waldorfschule, den Waldorfkindergarten und die Waldorfkrippe erhält."